Hamburg - Wilhelmsburg

Liebeserklärung an ein Sorgenkind

Wilhelmsburg, Baubehörde
Wilhelmsburg, Baubehörde

Wir Hamburger sind stolz auf unsere Stadt. Auf Alster und Elbe, auf das Blankeneser Treppenviertel, den Stadtpark mit See und Planetarium, auf unsere Hafencity, die immer attraktiver und lebendiger wird, die großartige Elbphilharmonie, die als Wahrzeichen den Hafen veredelt, und – ja, ich bin auch stolz auf Wilhelmsburg. 

Wilhelmsburg? Ist das nicht Hamburgs „Problemstadtteil“ mit hohem Ausländer-, Migranten- und Arbeiteranteil, mit niedrigem Durchschnittseinkommen und fragwürdigem Ruf? Stimmt. Aber das ist nur eine Seite von Europas größter bewohnter Flussinsel. Die andere, jung, multikulturell, lebendig, aber auch historisch, naturverliebt und romantisch, lohnt es, zu entdecken.

Zugegeben, ich habe mich im letzten Jahr eher zufällig auf die Elbinsel verirrt. Wir waren mit dem Fahrrad durch den Alten Elbtunnel gefahren, den ich zuletzt als Kind mit meinen Eltern zu Fuß durchquert hatte. Die Fahrt hinunter im alten Fahrstuhl und dann 400 Meter unter der Elbe hindurch, vorbei an gefliesten Wänden mit Steinzeug-Reliefs, hat mich damals wie heute mächtig beeindruckt.
Zurück im Tageslicht, fanden wir uns dann mitten im Hafen-Industriegelände von Steinwerder wieder. Entschlossen holperten wir übers Kopfsteinpflaster, vorbei an riesigen Containern, Lagerhallen und Kränen, überquerten hier und da einen Elbarm und landeten ziemlich bald auf einem breiten, mit vier blauen, untereinander angeordneten Quadraten gekennzeichneten Radweg.  

 


Bunthäuser Spitze
Bunthäuser Spitze

 

„Das ist der Loop“, verkündete Olaf nach einem Blick auf seinen Radatlas. „Ein 6,5 Kilometer langer Freizeitrundkurs in Wilhelmsburg. Und da vorne beginnt der Inselpark.“

Neugierig radelten wir weiter, den blauen Quadraten folgend, hinein in ein grünes, blühendes Parkgelände, Nachlass der Internationalen Bundesgartenschau 2013. Themen-Kinderspielplätze, Wasserspiele, Weinreben und Rosenalleen, Grillplätze und Liegewiesen, Ruheoasen, ein Hochseilgarten, Cafés, Skatepark und eine idyllische Seenwelt, auf der bunte Kanus schaukeln – ein Paradies für Familien und Sportler!

 


Beeindruckt radelten wir nach Hause. Wir hatten zwar nicht Amerika, aber Wilhelmsburg entdeckt. Auf jeden Fall für uns.

Die Sympathie sollte sich in diesem Jahr festigen. Im Juni ging es im Rahmen einer Veranstaltung mit einem historischen Bulli von Waterkant Touren auf Entdeckerreise zur Elbinsel. Diesmal knatterten wir durch schmale Straßen, vorbei an schönen Gründerzeithäusern, zu einem riesigen grauen, fensterlosen Gebäudeklotz. Von Tourguide Johannes erfuhren wir, dass dieses hässliche Monstrum durchaus innere Werte hat. Der Flakbunker von 1943 wurde im Rahmen der IBA mit einer Solarhülle umgeben und zum innovativen Kraftwerk umgebaut, das sauberen Strom produziert und den angrenzenden Stadtteil mit ökologischer Wärme versorgt. Neben einer Ausstellung zur Geschichte des Energiebunkers bietet sich auf dem Dach des Klotzes ein sensationeller 360-Grad-Panoramablick, den man vorzugsweise bei Kaffee und Kuchen im Café Vju genießen kann.

Nach einer gemütlichen Fahrt durchs Reiherstiegviertel, von Johannes mit Stories über originelle Cafés und Kneipen, neuen, bezahlbaren Wohnraum für Familien mit Kindern, viele Studenten und die raue, aber herzliche Elbinsel-Atmosphäre lebendig beschrieben – wollte ich Hamburgs "Sorgenkind“ nun wirklich komplett kennenlernen.

 

Warum also nicht mal ein Wochenend-Urlaub in Wilhelmsburg?

 

Gesagt, getan. Wir fuhren die schon bekannte Route durch den alten Elbtunnel und parkten unsere Fahrräder vorm Wälderhaus. Neben einer Ausstellung der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, die z. B. Stadtkindern die Funktion und Wichtigkeit des Waldes nahebringt, befindet sich in den oberen drei Etagen das 3-Sterne-Superior Hotel, das wegen seiner „konsequent ökologisch ausgerichteten Bauweise und der Verbindung des Hotel- und Tagungsbetriebs mit einer Waldausstellung“ vom ADAC mit dem Tourismuspreis ausgezeichnet wurde. Unser wunderbar gemütliches Wochenend-Quartier, ideal für Wilhelmsburg-Erkundungstouren!

 

Wir radelten zur Windmühle Johanna, Wahrzeichen der Elbinsel, schauten uns die Kreuzkirche Kirchdorf als älteste Kirche Wilhelmsburgs an (geweiht 1388), statteten dem Kulturzentrum Honigfabrik einen Besuch ab, bewunderten den Wasserturm Groß Sand und radelten zum guten Schluss, vorbei am Naturschutzgebiet Heuckenlock, reetgedeckten Bauernhäusern und einer friedlich grasenden Schafherde auf dem Deich, zur Bunthäuser Spitze. Die Abendsonne färbte den Himmel, als wir auf dem kleinen, pittoresken Leuchtturm standen, dort, wo sich die Elbe in Norder- und Süderelbe teilt. Vögel zwitscherten, ein Boot tuckerte vorbei, paradiesische Ruhe. Ich mag Wilhelmsburg.

 

Graffiti Wilhelmsburger Ufer
Graffiti Wilhelmsburger Ufer