Wimmeln, wandern und Felchen fischen

Hagnau am Bodensee

Farbenrausch! Jetzt weiß ich, was das wirklich heißt. Ich stehe auf der Wilhelmshöhe, einem 450 Meter hohen Hügel oberhalb des 1400-Seelen-Winzerdorfes Hagnau, und schaue hinunter auf den blau-silbern schimmernden Bodensee. Um mich herum scheinen die Farben aus dem Rot-Orange-Goldenen Tuschkasten zu explodieren. Herbstlaub, das wie ein flammender Teppich den Boden bedeckt, gold-rot leuchtende Weinreben, rotwangige Äpfel zwischen gelb-orange-farbenen Blättern – um diese Jahreszeit zeigt die Natur in der Vierländerregion, was sie farblich drauf hat. 

 

 

 

Obwohl es schon spät im Jahr ist, bin ich nicht allein in diesem Farbenspektakel. Viele Urlauber nutzen die Sonne, milde Temperaturen und ein interessantes Freizeitangebot für ein paar erholsame Spätherbst-Tage am Schwäbischen Meer. Sie wandern auf dem sorgfältig ausgeschilderten Obst- und Weinwanderweg, spazieren durch weite Sonnenblumenfelder, die auf Schritt und Tritt gute Laune machen, radeln durchs hügelige Hinterland, walken stundenlang am glitzernden See entlang oder fahren mit dem Schiff zur Blumeninsel Mainau.

 

Ich versuche es mal mit Wimmeln.

So nennt man in Hagnau die Weinlese, bei der auch Gäste gern helfen dürfen. Meist beginnt die Lese 100 Tage nach der Blüte. Voraussetzung: gutes Wetter und eine sichere Hand. Alles passt, und ich stehe schon früh am Morgen an einem der Südhänge am See. Zunächst werden alle Hilfs-Wimmler mit Schürze und Ernteschere ausgerüstet, dann, nach ein paar Instruktionen – Blätter und faule Beeren entfernen, mit einer Hand die Trauben halten, mit der anderen den Stengel dicht am Holz abschneiden –, auf die Reben losgelassen.


 

Ruckzuck ist der erste Eimer voll. Ein Erntehelfer leert ihn in einen Kübel auf der Ladefläche des Traktors. Weiter geht’s. Bald kann der erste Traktor seine kostbare Fracht zur Winzerei bringen. Die Arbeit macht Spaß, aber schon nach einer Stunde spüre ich meine Knochen. Wie mag das den „richtigen“ Wimmlern nach einem ganzen Tag gehen?

Mein nächster Programmpunkt ist entspannter: eine historischen Stadtführung. Vieles dreht sich in Hagnau – natürlich – um Wein. Und in diesem Zusammenhang führt kein Weg an Heinrich Hansjakob vorbei. Der Pfarrer und Schriftsteller gründete 1881 die erste Winzergenossenschaft Badens. Noch heute prangt sein Bild auf dem Logo. Vor dem Rathaus steht seine Statue. Und auch bei geselligen Weinfesten, die im Herbst nach erfolgreicher Wimmelei veranstaltet werden, erinnert man sich gern an ihn.

 

Wir stehen jetzt an der Mole. Unser Tourguide zeigt auf den See: „Hier stand 1100 bis 800 Jahre vor Christie eine Pfahlbausiedlung, die Burg von Hagnau. Bei Niedrigwasser kann man noch die Bepfahlung sehen.“ Und immer, wenn in Konstanz der Pegelstand die Nullmarke erreicht, rüsten sich die Hagnauer zum „Fest auf der Burg.“ Das letzte Mal wurde es 2012 gefeiert.

 

Durch schmucke Kopfsteingassen bummeln wir zur Pfarrkirche St. Johann, wo eine weitere Attraktion wartet, ein Erntedankteppich mit Motiven aus Polenta, Glasnudeln, Reis, Nüssen, Kaffee und anderen Lebensmitteln. Ein Kunstwerk, das auch Gutes tut. Wenn es abgebaut wird, bekommen bedürftige Menschen die Lebensmittel.

 

 

Den Abschluss des Tages bildet eine Weinprobe mit der ehemaligen Weinkönigin Anita Schmidt. Getreu Goethes Motto „Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken“ kosten die Gäste Beispiele der preisgekrönten Hagnauer Winzerkunst. Dazu werden Schmankerl der örtlichen Küche serviert, Rehragourt vom Jttendorfer Wald und Variationen von Felchen.

 

Dass Letztere nicht nur köstlich sondern auch eine Rarität sind, erfahre ich am nächsten Tag von der Berufsfischerin Heike Winder, die ich früh morgens beim Einholen der Netze begleiten darf. Der Fang ist mager, weil, so erklärt die 47-Jährige, der See so sauber ist, dass die Fische kaum noch Nahrung finden. Ein Hauch von Heimatfilm-Romantik à la „Fischerin vom Bodensee“ kommt trotzdem auf. Denn bei der Rückfahrt spiegeln sich im Licht der aufgehenden Sonne die herbstbunten Uferbäume im glatten Seewasser, dahinter glühen die Rebenblätter flammend rot. Ich liebe den Farbenrausch am Bodensee.